Page 8 - Mundart_Schreibung
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3 Schrift als Grundlage und Voraussetzung für kulturelle Leistungen
und Schöpfungen

Eine Mundartautorin meinte einmal im Rahmen eines Gesprächs, am günstigsten wäre der Verzicht
auf die Verschriftlichung, dafür solle man primär Hörproben bzw. Sprech- und Leseproben auf
Tonträgern produzieren. Ein Argument, dem nicht viel entgegen gehalten werden kann, aber das
kulturelle Hauptproblem, nämlich die Verschriftlichung von Sprache, ist damit nicht gelöst. Dies hätte
dann nämlich für alle Sprachen Gültigkeit. Die Erfindung der Schrift stellt eine der wichtigsten
kulturellen Leistungen im Verlaufe der Kulturgeschichte dar. Hochkulturen konnten schließlich nur
jene Kulturen werden, welche eine Möglichkeit der schriftlichen, d. h. der abstrahierten und nicht
gesprochenen Informationsweitergabe und Kommunikation entwickelten. Schriften ermöglichen die
unbeschränkte Nutzung von Informationen, die durch die schriftliche Fixierung jederzeit abruf- und
nutzbar bar sind. Besonders die alphabetischen Schriften, welche auf eine phönizische Laut- und
Buchstabenschrift zurück gehen, gestatten eine möglichst lautausgerichtete Verschriftung. Die
Buchstabenschrift unseres lateinischen Alphabets mit seinen 26 Zeichen und zusätzlichen Laut- bzw.
Zeichenkombinationen gestattet es, lautliche Schattierungen, Feinheiten und Nuancen möglichst
detailliert aufzuzeichnen bzw. wiederzugeben. Es werden bis in unsere Zeit immer noch
entsprechende Versuche unternommen, so nahm z. B. die Übertragung der Bibel in die Sprache
Inuktitut der Inuit in Nunavit im arktischen Norden Kanadas 33 Jahre in Anspruch und konnte erst
2012 vollendet werden.13 Ähnlich verhielt es sich mit der Bibelübersetzung in die Sprache Maa der
Massai und Samburu in Ostafrika, und die Beispiele sind fortführbar. Beinahe unglaublich, aber wahr:
Für 4 421 Sprachen gibt es immer noch keine Bibelübersetzung. Fast die Hälfte der 6 000 weltweit
gesprochenen Sprachen ist nach Einschätzung der UNESCO gefährdet, dazu gehören unzweifelhaft
auch unsere Mundarten. Alle zwei Wochen geht demnach eine Sprache verloren.14 Der jährlich am
21. Februar begangene Internationale Tag der Muttersprache legte beispielsweise im Jahr 2012 den
Fokus auf den muttersprachlichen Unterricht. Die im Jahr 2010 erfolgte Aufnahme des (oberdeutsch-
bairischen) Ötztaler Dialekts in das immaterielle Weltkulturerbe durch die UNESCO kann auch in
diesem Lichte gesehen werden. 2018 folgte die Aufnahme des (schwäbisch-alemannischen)
Montafoner Dialekts

13 Ruß Elke: Jesus als Sitter für Schlittenhunde. Wie erklärt man Palmwedel in einem Land ohne Bäume und einen Hirten,
wenn es keine Haustierherden gibt? In: Tiroler Tageszeitung Nr. 335, So 2. Dezember 2012, Leben, 8-9
14 vgl. apa/dpa (Bonn): 300 Sprachen gefährdet. In: Tiroler Tageszeitung Nr. 47, Do 16. Februar 2012, 12

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