Page 11 - Mundart_Schreibung
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1.4 Mundartschreibung als Problem der lautlichen Annäherung und Entsprechung
Wie gesagt: Dialekt ist primär eine gesprochene Version der Sprache.20 Sobald sie der
Verschriftlichung unterzogen wird, wird sie auch zur Schriftsprache bzw. zu einer bestimmten
Variation. Eine Einheitsschreibung würde auch eine Einheitssprache sowohl voraussetzen als auch
bedingen. Die Verschriftlichung von gesprochener Sprache beinhaltet immer Schwierigkeiten (ich
verweise z. B. auf die diesbezügliche Arbeit von Forschern und Missionaren o. a. bei indigenen
Völkern).21
Lesen hat sehr viel mit Übung und Training, also mit dem Sehen, Speichern, Einprägen und Behalten
sowie Erkennen von Schriftbildern zu tun, beruht somit zu einem Gutteil auch auf Gewöhnung. Im
Unterschied zur normierten Hoch- bzw. Standard- bzw. Schriftsprache beruht geschriebener Dialekt
zumeist nur auf einer lautlichen Annäherung. Wer daher den entsprechenden Dialekt nicht kennt
bzw. beherrscht, kann damit zumindest zuerst einmal auch nur wenig anfangen. Eine in den
Grundzügen geregelte Rechtschreibung bzw. gültige Schreibungsregeln sind bzw. wären eindeutig
vorteilhaft (z. B. betreffend Groß- und Kleinschreibung, Dehnung und Schärfung, Verdoppelung von
Vokalen und Konsonanten, Diphthonge, Fülllaute, das – daß bzw. dass, Anwendung der Regeln der
alten oder neuen Rechtschreibung – Dialekte sind ja ältere Sprachformen, Einhaltung von Regeln auf
der Grundlage grammatikalischer Begründungen, Wiedergabe von Einzellauten, Umlauten,
Zwielauten sowie von Laut- und Buchstabenverbindungen usw.). Die Verschriftlichung von Mundart
bedeutet in vielen Fällen eine Abweichung von vorgegebenen hochsprachlichen Normen.22 Dazu
kommt noch, dass Mundarten und Hochsprache unterschiedlichen grammatischen Regeln folgen (z.
B. Kasus mit und ohne Präpositionen, Pluralbildungen, Gender (Geschlecht), Zeitengebrauch, Bildung
von Personalformen und Flexionen u. v. a. m.).
Im Deutschen klaffen die Systeme der Lautung und der Schreibung oft beträchtlich auseinander,
Deutsch ist nicht unbedingt eine sehr lauttreue Sprache, dasselbe gilt auch für die deutschen
Mundarten. 42 Phonemen der deutschen Sprache stehen 30 Grapheme bzw. 68 Schriftzeichen
(Grapheme und Kombination von Graphemen) gegenüber; große, augen- bzw. ohrenscheinliche
Unterschiede bestehen z. B. besonders bei Vokalen (z. B.: wir, tief, ihr, ziehen; ä, äh, e, ee, eh; a-o;
 o, oh, oo;  u, uh ...).23 Verschriftlichung bzw. schriftliche Zeugnisse bilden die Voraussetzungen
für diesbezügliche Analysen.24

Hoch- bzw. Standardsprache ist durch eine vollständige kodifizierte Normierung der Schreibweisen
gekennzeichnet (eine Schreibung ist auf der Basis eines feststehenden kodierten Regelsystems
entweder richtig oder falsch). Demgegenüber verfügen die Mundarten über keine schriftlich fixierten
Normen. Hier versucht jede/r Schreiber/in mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken oder Wissen
eine für sich richtige Variation zu finden und zu verwenden. Die Lautung ist ebenso wie die
syntaktisch-grammatikalische Form letztlich, ausschlaggebend und entscheidend einzig im
Sprachbewusstsein des Sprechers/der Sprecherin bzw. des Schreibers/der Schreiberin verankert.

20 Egger Kurt: Im Dialekt reden – im Dialekt schreiben. In: Saxalber-Tetter Annemarie (Hg.): Dialekt-Hochsprache als
Unterrichtsthema. Anregungen für Deutschlehrer. Bozen/Südtiroler Kulturinstitut, Arbeitskreis Südtiroler Mittelschullehrer
1985, 51-53
21 vgl. Everett Daniel: Das glücklichste Volk. Sieben Jahre bei den Piraha-Indianern am Amazonas. München/Deutsche
Verlagsanstalt 2010 (5) [zu sprechen: Pi-da-HAN]
22 Egger Kurt: Dialekteinflüsse beim Schreiben vermeiden. In: Saxalber-Tetter Annemarie (Hg.): Dialekt-Hochsprache als
Unterrichtsthema. Anregungen für Deutschlehrer. Bozen/Südtiroler Kulturinstitut, Arbeitskreis Südtiroler Mittelschullehrer
1985, 55 (-72)
23 vgl. Meraner Rudolf: Untersuchen und Begreifen: der Dialekt. In: Saxalber-Tetter Annemarie (Hg.): Dialekt-
Hochsprache als Unterrichtsthema. Anregungen für Deutschlehrer. Bozen/Südtiroler Kulturinstitut, Arbeitskreis Südtiroler
Mittelschullehrer 1985, 111-123
24 Vgl. Schmid Annemarie: Französische Sprachspuren in der Mundart des Paznaun. In: Tiroler Heimatblätter – Zeitschrift
für Heimatpflege in Nord- und Osttirol Nr. 2/2012, 87. Jg., 54-57

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