Page 8 - Dialekt
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3 Muttersprache Deutsch

– Standard, Umgangssprache, Mundart - oder was ?

Die Frage nach der Muttersprache Deutsch bzw. Deutsch i. e. S. ist nicht so ohne weiteres
beantwortbar. Es gibt nämlich verschiedene Erscheinungsweisen des Deutschen als
Sprachvarietäten: einmal als geschriebene (Schriftsprache) und gesprochene (Hochsprache)
Standardsprache; dann als hauptsächlich gesprochene Dialekte (Mundarten), aber auch
deren verschriftlichte Formen; und im Übergangsbereich dazwischen noch die Form einer
sog. (regionalen) Umgangssprache. Dazu kommen zahlreiche Eigenheiten und klangliche
Variationen in den einzelnen Nationalstaaten, in welchen Deutsch gesprochen wird. Deutsch
als Sprache zeigt sich also in recht unterschiedlichen Sprachwirklichkeiten mit fließenden
Übergängen. Allfällige Klassifizierungsversuche erfolgen jeweils von einer bestimmten
Position aus, ihnen liegen unterschiedliche Motive und Interessen zu Grunde, folglich können
sie letztlich auch nur unzureichend ausfallen.

Dazu zur Veranschaulichung zwei Begebenheiten: (1) Im Rahmen der Europäischen
Bildungskooperation kamen einmal Studierende aus dem Ausland, die an unserer
Hochschule ein Auslandssemester verbrachten, auch zum Zweck der Verbesserung und
Perfektionierung ihrer Deutschkenntnisse, entsetzt und aufgeregt zu mir und jammerten:
„Was sollen wir tun? Hier sprechen die Menschen ja gar nicht Deutsch, wir verstehen sie
nicht.“ (2) Einheimische Schüler/innen einer Tiroler Mittelschule wehrten sich dagegen,
Deutsch als ihre Muttersprache zu bezeichnen, für sie war dies ihr Talschaftsdialekt.

Die österreichische Gesellschaft ist längst mehrsprachig. Dies meint nicht nur mehrsprachige
Personen im eigentlichen Sinn, sondern „gilt auch für das Sprachverhalten jener, die in
diesem Lande mit Deutsch als Erstsprache aufwachsen. Die Kinder kommen mit einer so
genannten nicht standardsprachlichen Variante des Österreichischen Deutsch in die Schule,
die von da an vermieden werden muss und stigmatisiert wird. … Deshalb kann ich nur dafür
plädieren, die vorhandene Mehrsprachigkeit endlich ernst zu nehmen und das Schulsystem
von seiner monolingualen Ausrichtung zu befreien, mehrsprachige Schulen für die
Zuwanderersprachen einzurichten und die verschiedenen Formen der österreichischen
Alltagssprache in den Schulen nicht zu stigmatisieren, sondern als normalen Teil der
österreichischen Sprachwirklichkeit zu akzeptieren.“xi

3.1 Varietäten des österreichischen Deutsch
(Sprachschichten) und einige Besonderheiten
Das mag auf den ersten Blick etwas eigenartig und verwunderlich klingen. Das
Österreichische Wörterbuch verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des
soziologischen und regionalen Umfeldes, in welchem Wörter verwendet werden, und
beschreibt Standardsprache, Regionale Standardsprache, Umgangssprache und Dialekt als
die vier hauptsächlichen Sprachschichten.xii Standardsprache meint die im gesamten
deutschen Sprachraum gültige und weitestgehend genormte Sprachvariante. Sie sichert die
allgemeine und übergreifende Verständlichkeit des Deutschen bei allen Sprecherinnen und
Sprechern dieser Sprache, erweist sich aber gleichzeitig auch als etwas, was letztlich so
wohl nur in idealistischer Weise existiert, bedingt durch die verschiedenen sog. Regionalen
Standardsprachen als nach größeren Sprachregionen oder Staatsgebieten vorkommende
sprachliche Ausprägungen (z. B. Österreichisches Deutsch, Schweizer Deutsch, Deutsches
Deutsch usw.) mit jeweils spezifischen verbindlich festgelegten Normensystemen. Das bringt
eine gewisse Vielfältigkeit und Variabilität dahingehend mit sich, dass etwas, was in einem
bestimmten Regionalen Standard als üblich und richtig gilt, in einem anderen durchaus
gegenteilig aufgefasst werden und somit unrichtig sein kann. Ebenfalls auf dem System der

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